Doctor Sleep - Страница 11


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Ich werde es aufteilen, beschloss er. Vierzig für sie und dreißig für mich.

Allerdings brachten dreißig Dollar ihm nicht viel. Außerdem waren da noch die Lebensmittelmarken – ein Bündel, fett genug, ein Schwein damit zu füttern. Damit konnte sie doch Essen für das Kind kaufen, oder etwa nicht?

Er nahm den Beutel Koks und die bestäubte Zeitschrift, um beides auf die Arbeitsfläche der Küchenzeile zu legen, wo der Junge es nicht erreichen konnte. Im Spülbecken lag ein Schwamm, mit dem er die Reste auf dem Couchtisch entfernte. Dabei sagte er sich, wenn Deenie inzwischen angestolpert kam, würde er ihr das verfluchte Geld zurückgeben. Und wenn sie weiterpennte, dann hatte sie es nicht anders verdient.

Deenie kam aber nicht angestolpert. Sie schnarchte einfach weiter.

Nachdem Dan den Tisch abgewischt hatte, warf er den Schwamm ins Spülbecken zurück und überlegte kurz, ob er ein paar Zeilen hinterlassen sollte. Aber was sollte er schreiben? Sorg besser für dein Kind – ach, übrigens hab ich dein Geld eingesteckt?

Okay, keine Nachricht.

Er verließ die Wohnung mit dem Geld in der linken Vordertasche und achtete darauf, die Tür beim Hinausgehen nicht laut zuzuschlagen. Aus Rücksicht, redete er sich ein.

3

Gegen Mittag – sein Kater war dank den zwei Kombinationspräparaten aus Deenies Arzneischränkchen vorüber – steuerte Dan einen Laden namens Golden’s Discount Liquors & Import Beers an. Dieser befand sich im alten Teil der Stadt, wo die Geschäftshäuser aus Backstein erbaut, die Bürgersteige eher leer und die Pfandhäuser (die alle eine bewundernswerte Auswahl an Rasiermessern zur Schau stellten) zahlreich waren. Er hatte die Absicht, eine sehr große Flasche sehr billigen Whiskey zu erwerben. Aber was er vor dem Laden sah, brachte ihn auf eine andere Idee. Es war ein Einkaufswagen, beladen mit dem irren Sammelsurium eines Penners. Der Besitzer war im Laden damit beschäftigt, den Verkäufer vollzuquatschen. Ganz oben auf dem Wagen lag eine zusammengerollte und mit Schnur umwickelte Decke. Dan bemerkte ein paar Flecken, aber alles in allem sah das Ding nicht schlecht aus. Er steckte es sich unter den Arm und ging zügig davon. Nachdem er eine alleinerziehende Mutter mit einem Drogenproblem gerade um siebzig Dollar erleichtert hatte, kam es ihm ziemlich belanglos vor, einem Penner seinen fliegenden Teppich abzunehmen. Womöglich war genau das der Grund, weshalb er sich kleiner denn je fühlte.

Ich schrumpfe immer weiter, dachte er, während er mit seiner neuen Beute um die Ecke eilte. Wenn ich noch ein paar Sachen klaue, bin ich überhaupt nicht mehr sichtbar.

Er lauschte, weil er das empörte Gezeter des Penners erwartete – je ausgeflippter die waren, desto lauter zeterten sie –, hörte jedoch nichts. Noch eine Ecke, dann konnte er sich zu einer problemlosen Flucht vom Tatort gratulieren.

Er bog in die nächste Straße ein.

4

Am Abend hockte er an der Mündung eines großen Regenkanals am Abhang unter der Cape Fear Memorial Bridge. Er hatte zwar ein Zimmer, aber es gab da auch das kleine Problem der rückständigen Miete, deren Zahlung er hoch und heilig für gestern siebzehn Uhr versprochen hatte. Außerdem war das noch nicht alles. Wenn er in sein Zimmer ging, forderte man ihn womöglich auf, einen gewissen festungsähnlichen Behördenbau in der Bess Street aufzusuchen, um Fragen bezüglich einer gewissen Auseinandersetzung in einer Kneipe zu beantworten. Alles in allem kam es ihm sicherer vor wegzubleiben.

Im Stadtzentrum gab es ein Obdachlosenasyl namens Haus der Hoffnung (das die Penner natürlich Haus der Hoffnungslosen nannten), doch auch da wollte Dan nicht hin. Dort konnte man zwar kostenlos übernachten, aber wenn man eine Flasche dabeihatte, bekam man die abgenommen. Wilmington war voller billiger Absteigen und Motels, wo sich niemand einen Scheißdreck darum scherte, was man trank, schnupfte oder sich spritzte, aber wieso sollte er sein gutes Geld für ein Dach über dem Kopf statt für Schnaps ausgeben, wenn es draußen warm und trocken war? Sich um ein Obdach Sorgen machen konnte er, wenn er nach Norden fuhr. Außerdem war da noch die Frage, wie er seine paar Habseligkeiten aus seinem Zimmer in der Birney Street holen konnte, ohne dass die Vermieterin etwas davon mitbekam.

Über dem Fluss ging der Mond auf. Die Decke hatte Dan schon hinter sich ausgebreitet. Bald würde er sich drauflegen, sich damit wie in einen Kokon einwickeln und einschlafen. Er schwebte so weit in den Wolken, dass er glücklich war. Der Start und der Steigflug waren holprig gewesen, aber nun hatte er die ganzen Turbulenzen hinter sich gelassen. Wahrscheinlich führte er kein Leben, das ein guter amerikanischer Bürger als vorbildlich bezeichnet hätte, aber vorläufig war alles in bester Ordnung. Er hatte eine Flasche Old Sun (erworben in einem Schnapsladen, der sich in einer vernünftigen Entfernung vom Golden’s Discount befand) und für morgen zum Frühstück ein halbes belegtes Baguette. Die Zukunft war umwölkt, doch heute schien der Mond hell. Alles war, wie es sein sollte.

(Zucka)

Plötzlich war der Junge bei ihm. Tommy. Direkt neben ihm. Er griff nach dem Koks. Blutergüsse am Arm. Blaue Augen.

(Zucka)

Das sah er mit einer quälenden Klarheit, die nichts mit dem Shining zu tun hatte. Und noch mehr. Deenie, die schnarchend auf dem Rücken lag. Das Portemonnaie aus rotem Kunstleder. Das Bündel Lebensmittelmarken mit dem Aufdruck des Landwirtschaftsministeriums. Das Geld. Die siebzig Dollar. Die er eingesteckt hatte.

Denk an den Mond. Denk daran, wie ruhig und heiter der über dem Wasser aufgeht.

Eine Weile gelang ihm das, aber dann sah er wieder Deenie auf dem Rücken liegen, das rote Portemonnaie aus Kunstleder, das Bündel Lebensmittelmarken, die erbärmlich zerknüllten Geldscheine (die er inzwischen großteils wieder los war). Am deutlichsten aber sah er den Jungen, der mit einer Hand, die wie ein Seestern aussah, nach dem Koks griff. Blaue Augen. Blutergüsse am Arm.

Zucka, sagte er.

Mama, sagte er.

Dan hatte sich das Kunststück beigebracht, seinen Schnaps so aufzuteilen, dass das Zeug länger reichte, der Rausch sanfter war und sich die eher schwachen Kopfschmerzen am nächsten Tag beherrschen ließen. Manchmal klappte das allerdings nicht so gut, und irgendein Mist passierte. Wie im Milky Way. Das war mehr oder weniger ein Unfall gewesen, aber heute Abend war alles im grünen Bereich. Er leerte die Flasche mit vier langen Zügen. Seine Gedanken waren eine leere Schultafel. Der Schnaps war ein Schwamm.

Er legte sich hin und wickelte sich in die gestohlene Decke. Dann wartete er auf die Bewusstlosigkeit, die auch kam, doch zuerst kam Tommy. Mit seinem Atlanta-Braves-T-Shirt. Seiner herunterhängenden Windel. Den blauen Augen, dem malträtierten Arm, der Seesternhand.

Zucka. Mama.

Darüber werde ich niemals sprechen, sagte er sich. Mit niemand.

Während der Mond über Wilmington, North Carolina, aufging, versank Dan Torrance in Bewusstlosigkeit. Er träumte vom Hotel Overlook, aber beim Aufwachen würde er sich nicht daran erinnern. Woran er sich beim Aufwachen erinnerte, waren die blauen Augen, der malträtierte Arm, die nach dem Koks greifende Hand.

Es gelang ihm, seinen Kram zu holen, dann fuhr er nach Norden, zuerst ins Hinterland von New York State und von dort weiter nach Massachusetts. Zwei Jahre vergingen. Manchmal half er Leuten, vor allem alten Leuten. Er hatte ein Talent dafür. In zu vielen besoffenen Nächten war der Junge das Letzte, woran er dachte, und das Erste, was ihm an dem verkaterten Morgen danach in den Sinn kam. Es war der Junge, an den er immer dachte, wenn er sich sagte, er werde mit dem Saufen aufhören. Vielleicht schon nächste Woche, auf jeden Fall nächsten Monat. Der Junge. Die Augen. Der Arm. Die ausgestreckte Seesternhand.

Zucka.

Mama.

Teil eins
ABRA

Kapitel eins
WILLKOMMEN IN TEENYTOWN

1

Nach Wilmington hörte er auf, täglich zu trinken.

Er schaffte eine Woche, manchmal zwei, ohne etwas Stärkeres als Cola light. Er wachte ohne Kater auf, was gut war. Er wachte durstig und elend – bedürftig – auf, was nicht gut war. Dann kam wieder eine Nacht. Oder ein Wochenende. Manchmal war der Auslöser ein Budweiser-Spot im Fernsehen – vergnügte junge Leute, von denen kein Einziger einen Bierbauch hatte, die sich nach einem sportlichen Volleyballmatch ein kühles Blondes genehmigten. Manchmal sah er ein paar gut aussehende Frauen nach der Arbeit mit einem Drink vor einem hübschen kleinen Café sitzen, so einem mit einem französischen Namen und vielen Hängepflanzen. Die Drinks waren fast immer mit kleinen Schirmchen geschmückt. Manchmal war es ein Song im Radio. Einmal waren es Styx, die »Mr. Roboto« sangen. Wenn er trocken war, dann war er völlig trocken. Wenn er trank, besoff er sich. Wenn er neben einer Frau aufwachte, dachte er an Deenie und den Jungen in dem Braves-T-Shirt. Er dachte an die siebzig Dollar. Sogar an die geklaute Decke dachte er, die er in dem Regenkanal hatte liegen lassen. Vielleicht lag sie immer noch dort. In dem Fall war sie inzwischen sicher vergammelt.

Manchmal betrank er sich und ging nicht zur Arbeit. Meistens behielt man ihn trotzdem eine Weile – was er machte, das machte er gut –, aber irgendwann war es so weit. Dann verabschiedete er sich und stieg in einen Bus. Aus Wilmington wurde Albany, und aus Albany wurde Utica. Aus Utica wurde New Paltz. Nach New Paltz kam Sturbridge, wo er sich bei einem Folk-Open-Air betrank und am nächsten Tag mit einem gebrochenen Handgelenk im Knast aufwachte. Als Nächstes war Weston an der Reihe, danach kam ein Pflegeheim auf Martha’s Vineyard, und Mann, der Auftritt dauerte nicht lang. Bereits am dritten Tag roch die Oberschwester Alkohol in seinem Atem, und schon hieß es adieu, auf Nimmerwiedersehen. Einmal kreuzte er den Weg des Wahren Knotens, ohne es zu merken. Jedenfalls nicht im obersten Bereich seines Bewusstseins, wenngleich er tiefer – dort, wo sein Shining herrschte – etwas wahrnahm. Einen Geruch, schwindend und unangenehm, so ähnlich wie der Geruch von verbranntem Gummi auf einem Straßenabschnitt, wo sich vor nicht langer Zeit ein schlimmer Unfall ereignet hat.

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