Doctor Sleep - Страница 107


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»Gut!«, rief Abra und schüttelte die geballten Fäuste. »Na, wie schmeckt es? Wie schmeckt meine Momo? Gut, ja? Saugt so viel von ihr ein, wie ihr wollt. SAUGT ALLES EIN!«

Sie begannen zu kreisen. Durch den roten Dunst hindurch sah Dan, wie zwei von ihnen die Stirn aneinanderdrückten und sich umarmten, und trotz allem, was sie getan hatten – trotz allem, was sie waren –, ging der Anblick ihm nahe. Er sah die Worte Ich liebe dich auf Short Eddies Lippen, sah, wie Big Mo etwas erwidern wollte; dann waren sie verschwunden, und ihre Kleidungsstücke schwebten zu Boden. So schnell ging alles.

Er wandte sich Abra zu, um ihr zu sagen, dass sie es jetzt sofort zu Ende bringen müssten, aber da begann Rose the Hat zu kreischen, und einige Augenblicke – bis Abra sie abblocken konnte – löschten diese Schreie voller Wut und irrsinniger Trauer alles andere aus, selbst die wunderbare Erleichterung, keine Schmerzen mehr zu haben. Und, wie er inständig hoffte, auch keinen Krebs mehr. Das würde er allerdings erst dann mit Sicherheit wissen, wenn er sein Gesicht im Spiegel betrachten konnte.

16

Rose stand am oberen Ende der Treppe, die von der Plattform herabführte, als der tödliche Dunst den Wahren Knoten erfasste und die Überreste von Abras Momo ihr rasches, endgültiges Werk vollbrachten.

Ihr Inneres war ein Leichentuch unerträglichen Leidens. Schreie schossen durch ihren Kopf wie Schrapnells. Verglichen mit diesen Schreien, die von den sterbenden Wahren stammten, waren jene des nach New Hampshire entsandten Stoßtrupps nichts als eine blasse Erinnerung. Rose taumelte zurück, als wäre sie von einer Keule getroffen worden. Sie stieß ans Geländer, prallte davon ab und stürzte auf die Bretter. Irgendwo in der Ferne leierte eine Frau – ihrer zittrigen Stimme nach zu urteilen sehr alt – unablässig nein, nein, nein, nein, nein.

Das bin ich. Das muss ich sein, denn ich bin die Einzige, die noch übrig ist.

Nicht das Mädchen war einem übersteigerten Selbstvertrauen zum Opfer gefallen, sondern Rose selbst. Sie dachte an etwas

(in die eigene Falle tappen)

was dieses kleine Aas gesagt hatte, und spürte, wie es in ihr vor Wut und Bestürzung brannte. Ihre alten Freunde und Reisegefährten waren tot. Vergiftet. Mit Ausnahme der Feiglinge, die Reißaus genommen hatten, war Rose the Hat alles, was vom Wahren Knoten geblieben war.

Doch nein, das stimmte ja gar nicht. Da war noch Sarey.

Unter dem kühlen Himmel auf der Plattform liegend, nahm Rose Kontakt mit ihr auf.

(bist du)

Der Gedanke, der zurückkam, war voller Verwirrung und Entsetzen.

(ja aber … Rose … sind sie … können sie denn)

(denk nicht an sie erinnere dich einfach Sarey erinnerst du dich)

(»sonst muss ich zu anderen Mitteln greifen«)

(gut Sarey gut)

Wenn das Mädchen nicht flüchtete … wenn sie den Fehler machte, ihr mörderisches Tagwerk zu vollenden …

Und das würde sie tun. Da war Rose sich sicher, und in den Gedanken des Mannes, der das kleine Aas begleitete, hatte sie genug gesehen, dass sie zweierlei wusste: wie die beiden dieses Gemetzel zustande gebracht hatten und wie sich diese spezielle Verbindung gegen sie verwenden ließ.

Zorn war ausgesprochen machtvoll.

Kindheitserinnerungen ebenfalls.

Mühsam kam Rose auf die Beine, versetzte ihrem Hut wieder die gewohnte kecke Neigung, ohne darüber nachzudenken, und ging zum Geländer. Der Mann aus dem Pick-up starrte zu ihr herauf, aber sie achtete kaum auf ihn. Der hatte seine heimtückische kleine Aufgabe erledigt. Vielleicht würde sie sich später mit ihm beschäftigen, aber vorläufig hatte sie nur Augen für die Overlook Lodge. Das Mädchen war dort, gleichzeitig jedoch weit davon entfernt. Seine körperliche Anwesenheit auf dem Campingplatz des Wahren Knotens war kaum mehr als die eines Phantoms. Vollständig anwesend war nur dieser Mann – ein realer Mensch, ein Tölpel –, den sie noch nie gesehen hatte. Er war ein Steamhead. Seine Stimme in ihrem Kopf war klar und kalt.

(hallo Rose)

In der Nähe gab es einen Ort, an dem das Mädchen zu flackern aufhören würde. Wo es seinen physischen Körper annehmen würde. Wo es getötet werden konnte. Später konnte sich Sarey um den Mann kümmern, aber erst nachdem dieser Mann sich um das kleine Aas gekümmert hatte.

(hallo Danny hallo mein kleiner Junge)

Geladen mit Steam, griff sie in ihn hinein und beförderte ihn mit einem brutalen Schlag an die Nabe des Rades. Während sie sich umdrehte, um ihm zu folgen, hörte sie in der Ferne Abras entsetzte Schreie.

Und als Dan dort war, wo Rose ihn haben wollte, als er einen Moment lang so überrascht war, dass er seine Deckung vernachlässigte, ließ sie ihre ganze Wut in ihn hineinströmen, als wäre es reiner Steam.

Kapitel zwanzig
NABE DES RADES, DACH DER WELT

1

Dan Torrance schlug die Augen auf. Durch sie hindurch schoss Sonnenlicht in seinen schmerzenden Kopf und drohte, sein Gehirn in Brand zu setzen. Das war der übelste Kater aller Zeiten. Lautes Schnarchen neben ihm, ein hässliches, lästiges Geräusch, bei dem es sich nur um eine besoffene Tusse handeln konnte, die am falschen Ort ihren Rausch ausschlief. Dan drehte den Kopf in die entsprechende Richtung und sah die Frau, die neben ihm platt auf dem Rücken lag. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor. Dunkle Haare, die wie ein Heiligenschein um sie ausgebreitet waren. Sie trug ein zu großes T-Shirt mit dem Logo der Atlanta Braves.

Das ist nicht real. An diesem Ort bin ich gar nicht. Ich bin in Colorado, am Dach der Welt, und ich muss der Sache jetzt ein Ende bereiten.

Die Frau drehte sich um, öffnete die Augen und starrte ihn an. »Scheiße, mein Kopf«, sagte sie. »Hol mir doch mal was von dem Koks, Daddy. Es ist im Wohnzimmer.«

Verblüfft und zunehmend zornig starrte er sie an. Dieser Zorn schien von nirgendwoher zu kommen, aber war es nicht schon immer so gewesen? Es war ein Zorn, der selbständig war, ein unlösbares Rätsel. »Koks? Wer hat denn Koks besorgt?«

Sie grinste, wobei in ihrem Mund nur ein einzelner, verfärbter Zahn sichtbar wurde. Da wusste er, wer sie war. »Das warst du, Daddy. Jetzt geh und hol es. Sobald ich wieder klar im Kopf bin, kriegst du einen geilen Fick.«

Irgendwie war er wieder in dieser schäbigen Wohnung in Wilmington, nackt, neben Rose the Hat.

»Was hast du getan? Wie bin ich hierhergekommen?«

Sie warf den Kopf zurück und lachte. »Ach, gefällt es dir hier etwa nicht? Komisch, diesen Ort hab ich aus deinem Kopf geholt. Und jetzt tu, was ich dir gesagt hab, Arschloch. Hol das verfluchte Koks.«

»Wo ist Abra? Was hast du mit Abra gemacht?«

»Die hab ich umgebracht«, sagte Rose gleichgültig. »Sie hat sich solche Sorgen um dich gemacht, dass sie sich eine Blöße gegeben hat, und da hab ich sie von der Kehle bis zum Bauch aufgeschlitzt. Leider konnte ich nicht so viel von ihrem Steam einsaugen, wie ich wollte, aber eine Menge hab ich doch …«

Alles um Dan herum wurde rot. Er umklammerte mit beiden Händen ihren Hals und begann zu würgen. Ein einziger Gedanke pulsierte ihm durch den Kopf: Verfluchte Schlampe, jetzt kriegst du, was du verdienst, verfluchte Schlampe, jetzt kriegst du, was du verdienst, verfluchte Schlampe, jetzt ist es aus mit dir.

2

Sein Steam war kraftvoll, aber nicht mit dem des Mädchens zu vergleichen. Er stand breitbeinig da, den Kopf gesenkt, die Schultern hochgezogen, die zu Fäusten geballten Hände gehoben – das Musterbild eines Mannes, der vor mörderischer Wut den Kopf verloren hatte. Wut machte Männer leicht beherrschbar.

Es war unmöglich, seinen Gedanken zu folgen, weil diese eine rote Färbung angenommen hatten. Das war in Ordnung, das war absolut okay, denn das Mädchen war da, wo Rose sie haben wollte. Dank Abras entsetztem, geschocktem Zustand war es ganz leicht gewesen, sie an die Nabe des Rades zu befördern. Lange würde sie allerdings nicht mehr entsetzt und geschockt sein, denn jemand würgte das kleine Aas, was das Zeug hielt. Bald würde sie tot sein, weil sie in die eigene Falle getappt war.

(Onkel Dan nein hör auf das ist nicht Rose)

Doch, das ist sie, dachte Rose, während sie noch fester zudrückte. Ihr Zahn kroch aus ihrem Mund und durchbohrte die Unterlippe. Blut floss an ihrem Kinn hinab auf ihre Bluse. Das spürte sie kaum stärker als den Bergwind, der mit ihrem üppigen, schwarzen Haar spielte. Ich bin es tatsächlich. Du warst mein Daddy, hast mich in der Kneipe freigehalten, ich hab dich dazu gebracht, deine Brieftasche für ein Säckchen mieses Koks zu leeren, und jetzt ist es der Morgen danach, und ich muss kriegen, was ich verdiene. Das wolltest du schon tun, als du damals in Wilmington neben dieser besoffenen Schlampe aufgewacht bist; das hättest du damals getan, wenn du ein Fünkchen Mumm gehabt hättest, mit ihr und mit ihrem jämmerlichen Balg gleich obendrein. Dein Vater wusste, wie man mit dämlichen, ungehorsamen Frauen umgeht, und dein Großvater ebenfalls. Manchmal muss eine Frau einfach kriegen, was sie verdient. Sie muss …

Ein Dröhnen, ein sich näherndes Motorengeräusch. Es war so unwichtig wie der Schmerz in ihrer Lippe und der Geschmack von Blut in ihrem Mund. Das Mädchen erstickte, zappelte. Dann explodierte in ihrem Gehirn ein Gedanke, laut wie ein Donnerschlag, ein verwundetes Brüllen:

(MEIN VATER WUSSTE NICHTS DAVON!)

Rose war noch damit beschäftigt, ihren Kopf von diesem Gebrüll zu befreien, als Billy Freemans Pick-up an einen Stützpfosten der Plattform krachte. Die Erschütterung holte sie von den Beinen. Ihr Hut flog davon.

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