Doctor Sleep - Страница 69


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Das konnte John nicht, Abra hingegen schon, und als plötzlich ihre laute Stimme in Dans Kopf erscholl, war dieser froh, dass John den Wagen lenkte. Hätte er am Steuer gesessen, wären sie höchstwahrscheinlich in irgendeinem Maisfeld gelandet.

(NEIIIIN!)

»Abra.« Das sagte er laut, damit John wenigstens seinen Anteil an dem Gespräch hören konnte. »Abra, hör doch erst mal zu.«

(NEIN DAN! SIE DENKEN MIR GEHT’S BLENDEND! SIE DENKEN ICH BIN INZWISCHEN FAST NORMAL GEWORDEN!)

»Kleines, wenn diese Leute deine Mama und deinen Dad umbringen müssten, um dich zu schnappen, meinst du, sie würden dann auch nur einen Moment zögern? Bestimmt nicht. Nach dem, was wir gerade gefunden haben, bin ich mir da sicher.«

Dagegen konnte Abra eigentlich nichts einwenden, und sie versuchte es auch nicht … aber plötzlich war Dans Kopf von ihrem Kummer und ihrer Furcht erfüllt. Seine Augen füllten sich mit Tränen, die ihm an den Wangen herabliefen.

Scheiße.

Scheiße, Scheiße, Scheiße.

16

Früher Donnerstagmorgen.

Der Winnebago von Steamhead Steve, gesteuert momentan von Snakebite Andi, rollte im Westen von Nebraska auf der I-80 ostwärts, immer schön vorschriftsmäßig mit fünfundsechzig Meilen pro Stunde. Am Horizont zeigten sich gerade die ersten Anzeichen der Dämmerung. In Anniston war es zwei Stunden später. Dave Stone stand im Bademantel in der Küche und kochte Kaffee, als das Telefon läutete. Es war Lucy, die von Concettas Wohnung in der Marlborough Street aus anrief. Sie hörte sich an wie eine Frau, die bald am Ende ihrer Kräfte angelangt war.

»Wenn sich nichts zum Schlechten verändert – wobei es sich wohl nur noch in die Richtung verändern kann –, wird Momo gleich Anfang nächster Woche aus dem Krankenhaus entlassen. Gestern Abend hab ich mit den zwei Ärzten gesprochen, die für sie zuständig sind.«

»Wieso hast du mich nicht gleich hinterher angerufen, Schatz?«

»Zu müde. Und zu deprimiert. Ich dachte, wenn ich erst mal drüber geschlafen habe, fühle ich mich besser, aber ich hab kaum schlafen können. Dave, diese Wohnung ist so voll von ihr. Nicht nur von ihrer Arbeit, von ihrer Lebendigkeit …«

Ihre Stimme wankte. David wartete. Sie waren nun schon mehr als fünfzehn Jahre lang zusammen, und er wusste, wenn Lucy durcheinander war, dann war es manchmal besser zu warten, als etwas zu sagen.

»Ich weiß überhaupt nicht, was wir mit den ganzen Sachen anfangen sollen. Ich bin schon erschöpft, wenn ich die vielen Bücher nur anschaue. In den Regalen stehen Tausende, dazu kommen die Stapel in ihrem Arbeitszimmer, und der Hausmeister sagt, weitere Tausende sind eingelagert.«

»Das müssen wir doch nicht jetzt gleich entscheiden.«

»Außerdem sagt er, da ist ein Koffer, auf dem Alessandra steht. Das war der richtige Name meiner Mutter, weißt du. Genannt hat sie sich allerdings wohl immer Sandra oder Sandy. Ich wusste gar nicht, dass Momo Sachen von ihr hat.«

»Obwohl Chetta in ihren Gedichten alles nach außen gekehrt hat, konnte sie ganz schön verschlossen sein, wenn sie wollte.«

Lucy schien ihn gar nicht zu hören. Sie fuhr einfach in demselben stumpfen, leicht nörgelnden, todmüden Ton fort. »Es ist alles geregelt. Bloß den privaten Krankentransport muss ich umbestellen, falls man sie schon am Sonntag entlässt. Sie haben gesagt, das machen sie vielleicht. Gott sei Dank hat sie eine gute Versicherung. Die stammt noch aus der Zeit, als sie in Tufts unterrichtet hat, weißt du. Mit ihrer Lyrik hat sie nie einen Cent verdient. Wer in diesem abgefuckten Land würde noch was bezahlen, um Gedichte zu lesen?«

»Lucy …«

»Sie bekommt ein gutes Zimmer im Hauptgebäude vom Rivington House – eine kleine Suite eigentlich. Ich hab’s mir im Internet angeschaut. Lange wird sie es allerdings nicht bewohnen. Ich hab mich mit der Oberschwester auf der Station hier angefreundet, und die sagt, Momo ist praktisch am Ende ihres …«

»Chia, ich liebe dich.«

Das – Concettas alter Kosename für sie – brachte sie endlich zum Schweigen.

»Mit all meinem zugegeben nicht italienischen Herzen. Und mit meiner Seele.«

»Das weiß ich, und dafür bin ich auch unheimlich dankbar. Es war jetzt alles so schwer, aber nun ist es bald vorbei. Spätestens Montag bin ich wieder zu Hause.«

»Wir freuen uns so auf dich.«

»Wie geht es dir überhaupt? Und Abra?«

»Uns beiden geht es gut.« Das würde David noch etwa sechzig Sekunden lang glauben dürfen.

Er hörte Lucy gähnen. »Vielleicht lege ich mich noch ein oder zwei Stunden ins Bett. Ich glaube, jetzt kann ich einschlafen.«

»Tu das. Ich muss Abs aufwecken, damit sie rechtzeitig in die Schule kommt.«

Sie verabschiedeten sich, und als Dave sich von dem an der Wand hängenden Küchentelefon abwandte, sah er, dass Abra bereits aufgestanden war. Sie trug noch ihren Schlafanzug. Ihre Haare sträubten sich in alle Richtungen, die Augen waren gerötet, und das Gesicht war bleich. Zum ersten Mal seit etwa vier Jahren drückte sie Hoppy, ihren alten Stoffhasen, an die Brust.

»Abba-Doo? Bist du krank? Oder ist dir übel?«

Ja. Nein. Ich weiß nicht. Aber dir wird übel sein, wenn du hörst, was ich dir erzählen werde.

»Ich muss mit dir sprechen, Daddy. Und ich will heute nicht in die Schule gehen. Morgen auch nicht. Vielleicht eine ganze Weile nicht.« Sie zögerte. »Ich stecke im Schlamassel.«

Das Erste, was Dave bei diesem Ausdruck in den Sinn kam, war so schrecklich, dass er es sofort von sich wegschob, aber nicht, bevor Abra es aufgefangen hatte.

Sie lächelte matt. »Nein, schwanger bin ich nicht. Das ist wohl schon mal erfreulich.«

Er war auf sie zugegangen. Nun blieb er auf halbem Wege mitten in der Küche stehen. Sein Mund klappte auf. »Du … hast du etwa gerade …«

»Ja«, sagte sie. »Ich hab gerade deine Gedanken gelesen. Allerdings hätte jeder erraten können, was du gedacht hast, Daddy – man hat’s dir am Gesicht angesehen. Und man nennt es Shining oder Hellsichtigkeit, nicht Gedankenlesen. Ich kann immer noch das meiste von dem tun, was euch Angst gemacht hat, als ich klein war. Nicht alles, aber das meiste.«

Er sprach ganz langsam. »Ich weiß, dass du manchmal noch Vorahnungen hast. Deine Mutter weiß das auch.«

»Es ist viel mehr als das. Ich habe einen Freund. Der heißt Dan. Er und Dr. John waren in Iowa …«

»John Dalton?«

»Ja …«

»Wer ist dieser Dan? Ist das ein Junge, der bei Dr. John in Behandlung ist?«

»Nein, er ist schon erwachsen.« Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Küchentisch. Dort setzten sie sich. Abra hielt immer noch Hoppy in der Hand. »Aber als er klein war, da war er wie ich.«

»Abs, ich verstehe nur Bahnhof.«

»Da sind böse Menschen, Daddy.« Natürlich konnte sie ihm nicht sagen, dass sie keine richtigen Menschen waren, schlimmer als Menschen, bevor Dan und John da waren, um ihr bei der Erklärung zu helfen. »Möglicherweise wollen sie mir wehtun.«

»Wieso sollte irgendjemand dir wehtun wollen? Das ist völlig abwegig. Und wenn du das, was du früher getan hast, noch tun könntest, dann würden wir das wiss…«

Die Schublade unter den aufgehängten Töpfen ging krachend auf, schloss sich und öffnete sich wieder. Löffel an die Decke hängen konnte Abra nicht mehr, aber das reichte aus, um ihren Vater zu überzeugen.

»Als ich kapiert hab, wie sehr ihr euch deshalb sorgt – wie viel Angst es euch macht –, da hab ich es versteckt. Aber jetzt kann ich es nicht mehr verstecken. Dan meint, ich muss es euch sagen.«

Sie drückte das Gesicht an Hoppys abgewetztes Fell und begann zu weinen.

Kapitel zwölf
SIE NENNEN ES STEAM

1

John schaltete sein Handy ein, sobald er und Dan am späten Donnerstagnachmittag in Boston den Flugsteig verlassen hatten. Kaum sah er, dass er mehr als ein Dutzend Anrufe verpasst hatte, fing das Telefon in seiner Hand an zu läuten. Er blickte aufs Display.

»Stone?«, fragte Dan.

»Von derselben Nummer hab ich gerade schon massenhaft andere Anrufe bekommen, die ich verpasst hab. Also wird er’s wohl sein.«

»Nimm nicht ab. Ruf ihn zurück, wenn wir auf der Schnellstraße sind, und sag ihm, wir sind um …« Dan sah auf seine Armbanduhr, die er in Iowa nicht umgestellt hatte. »… um sechs da. Wenn wir bei ihm sind, erklären wir ihm alles.«

John steckte sein Handy widerstrebend ein. »Während dem Flug hab ich gehofft, dass ich wegen dieser Sache nicht meine Zulassung verliere. Jetzt hoffe ich nur noch, dass man uns nicht verhaftet, sobald wir den Wagen vor Dave Stones Haus anhalten.«

Dan, der sich auf der Heimreise mehrmals mit Abra beraten hatte, schüttelte den Kopf. »Abra hat ihn überredet abzuwarten, aber in der Familie ist momentan ohnehin schon viel los, und Mr. Stone ist ziemlich durcheinander.«

Worauf John ein besonders trostloses Lächeln aufsetzte. »Da ist er nicht der Einzige.«

2

Als Dan in die Einfahrt der Stones einbog, saß Abra mit ihrem Vater auf der Außentreppe. Dan und John waren gut vorwärtsgekommen; es war erst halb sechs.

Abra war aufgesprungen, bevor ihr Vater sie festhalten konnte, und rannte mit fliegenden Haaren den Weg entlang. Als Dan das sah, übergab er John rasch den immer noch in das Handtuch eingewickelten Baseballhandschuh. Abra warf sich in seine Arme. Sie zitterte am ganzen Leib.

(ihr habt ihn gefunden ihr habt ihn gefunden und den Handschuh auch gib ihn mir)

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